Molekularkette

Chemie Die unsicht­bare Gefahr

Mikroskopisch kleine Plastik­teilchen sind in der Umwelt fast überall zu finden. Ein Problem, das sich vielleicht lindern lässt: mit maß­geschneiderten Bio­­kunst­stoffen. Für ihre Herstellung bedarf es umwelt­freund­licher und hoch spezialisierter Katalysatoren

von Dr. Ruth D. Rittinghaus

Wer gerne wandert, ärgert sich immer wieder über den Müll: angefangen bei kleinen Bonbon­papierchen und Zigaretten­stummeln über Keks­verpackungen und Chip­s­tüten bis hin zu Elektro­schrott. Das ist nicht nur ästhetisch abstoßend, die Kunst­stoffe sind in der Regel biologisch nicht abbaubar und bleiben der Umwelt über lange Zeit erhalten. Die einfachste, wenn auch nicht von allen begriffene Lösung: Plastik­müll sollte immer in unserem Entsorgungs­system landen, das sich darum kümmert, dass er recycelt, verbrannt oder zumindest sicher deponiert wird.

Neben den großen Abfällen, die sich zumindest theoretisch leicht wieder entfernen lassen, gibt es in der Umwelt aber auch sogenanntes Mikro­plastik, das wir mit bloßem Auge nicht sehen können. Es entsteht durch mechanische Zerkleinerung – zum Beispiel, wenn ein kräftiger Windstoß eine Verpackung gegen einen Baum schlägt. Zusätzlich wird Mikro­plastik auch durch unsere alltäglichen Handlungen in die Natur eingetragen: Beim Waschen von Kleidung lösen sich kleine Fasern, die nicht alle in der Kläranlage heraus­gefiltert werden. Unsere Schuh­sohlen reiben sich mit der Zeit ab und verteilen sich auf den Gehwegen. Nicht zuletzt muss der Kunst­rasen­platz regel­mäßig erneuert werden, weil er seine Plastik­halme verliert.

Nur weil die Plastikpartikel klein und unsichtbar sind, heißt das nicht, dass sie keinen Schaden anrichten. Es ist noch nicht abschließend geklärt, wie gefährlich Mikro­plastik ist, aber Studien zeigen, dass es sich im Gewebe und Gehirn absetzt. Dafür, dass diese Partikel nur wenig unter­sucht sind, haben sie sich mittler­weile aber überall verbreitet: Der Wind trägt sie auf die höchsten Berge, und über Flüsse und Strömungen treiben sie bis in die Tiefsee.

In der sauerstofffreien Handschuhbox wiegt Ruth D. Rittinghaus den Katalysator ab (orange­farbene Kristalle)
©KTS/Annette Mueck
In der sauerstofffreien Handschuhbox wiegt Ruth D. Rittinghaus den Katalysator ab (orange­farbene Kristalle)

Das in der Umwelt bereits vorhandene Mikro­plastik werden wir nicht mehr zurückholen können, aber wir können dafür sorgen, dass es in Zukunft nicht noch mehr wird. Alle Produkte, die allein durch ihre Nutzung feinste Plastik­teilchen frei­setzen – zum Beispiel Schuh­sohlen oder Auto­reifen –, sollten aus biologisch abbaubaren Materialien bestehen. Die meisten Kunst­stoffe werden aus Erdöl hergestellt, und obwohl das Material selbst mehrere Jahr­hunderte stabil ist, wird es oft nur wenige Monate verwendet und dann zum Problem.

Biokunststoffe hingegen werden entweder aus Biomasse produziert oder sind innerhalb von Monaten biologisch abbaubar. Im Optimal­fall erfüllen sie beide Kriterien – so wie Polylactid, kurz: PLA. Dieser Bio­kunst­stoff wird schon in großem Maßstab hergestellt und ersetzt herkömmliche Kunst­stoffe bereits in einer Reihe von Anwendungen.

Jedoch können Kunststoffe stark unterschiedliche Eigenschaften besitzen: von der flexiblen Frisch­halte­folie, die wir in der Küche benutzen, bis hin zur harten Armatur im Auto. Biologisch abbaubare Kunst­stoffe zu entwickeln, die diese Band­breite an Eigenschaften abdecken, ist eine große Heraus­forderung.

Um zu verstehen, wovon die Eigenschaften eines Kunst­stoffes abhängen, lohnt ein Blick auf ihren inneren Aufbau. Auf molekularer Ebene bestehen sie aus Gebilden, die wie Perlen­ketten aufgebaut sind. Die Perlen werden Monomere genannt und die Kette Polymer. Viele Polymer­ketten zusammen ergeben das, was wir als Kunst­stoff kennen. Je nachdem, welche chemische Zusammen­setzung die Perlen haben und in welcher Weise sie zu einer Kette verknüpft sind, hat der Kunst­stoff verschiedene Eigenschaften.

Für die Herstellung eines Kunststoffes – für das Auffädeln der Perlen also – benötigt man ein besonderes Molekül, das oftmals ein Metall beinhaltet. Dieser „Katalysator” aktiviert eine dafür vorgesehene Stelle an der Perle, eine Funktionalität, um die Perle auffädeln zu können. Den Prozess des Aneinander­reihens der Perlen durch den Katalysator nennt man Polymerisation.

Die Beschaffenheit des Katalysators spielt eine große Rolle für eine Polymerisation, da die Funktionalität der Perlen und des Katalysators auf­einander abgestimmt sein müssen. Deswegen werden Katalysatoren für Polymerisationen lange optimiert, bis sie zur Kunst­stoff­herstellung eingesetzt werden können. Im Fall des viel­versprechenden Bio­kunst­stoffes PLA kommt industriell ein giftiger Schwer­metall­katalysator zum Einsatz, weil er die besten Polymerisations­eigenschaften zeigt. Er ist zugelassen, weil er nur in kleinen Mengen eingesetzt wird. Da er aber im Kunststoff verbleibt, kann sich das Schwer­metall in Öko­­systemen anreichern. Kurzum: Anstelle des nicht abbaubaren Mikro­plastiks gelangt nun ein giftiges Schwermetall in die Umwelt.

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Im Rahmen meiner Arbeit wollte ich daher zunächst einen Katalysator entwickeln, der mindestens genauso schnell arbeitet wie sein schwer­metall­haltiges Pendant. Er sollte aus Eisen bestehen und somit der Umwelt nicht schaden. Tatsächlich ist das unserem Team gelungen. Unser Katalysator arbeitet sogar noch schneller und ist somit ein aussichts­reicher Bewerber für die Herstellung von PLA in großem Maßstab.

Er ist nicht nur schnell, sondern auch flexibel einsetzbar. Üblicher­weise sind Katalysatoren auf Perlen mit einer bestimmten Funktionalität spezialisiert. Nicht aber unser neuer Eisen­katalysator: Er kann verschiedene Funktionalitäten zum Verknüpfen nutzen und ermöglicht so Kombinationen und dementsprechend Kunst­stoff­eigenschaften, die sonst nicht in einer Reaktion denkbar wären.

Neben dem Anteil der einzelnen Perlen in der Polymerkette ist auch deren Anordnung wichtig: Es macht einen großen Unterschied für die Eigenschaften, ob erst „blaue” Perlen in der Kette vorkommen, dann „gelbe” und schluss­endlich „rote” oder ob alle Perlen bunt verteilt entlang der Kette zu finden sind. Katalysatoren präferieren oft eine bestimmte Perlenart, fädeln diese zuerst auf und dann mit abnehmender Präferenz die anderen. Für eine bunt gemischte Kette wäre es also notwendig, dass der Katalysator keine Perlen bevorzugt. Das ist sehr selten.

Wir konnten jedoch zeigen, dass es noch einen anderen Weg gibt. Auch unser Katalysator hat Präferenzen für gewisse Perlen und baut sie in der entsprechenden Reihen­folge ein. Erhöht man jedoch die Temperatur, fädelt er die Perlen nicht mehr geordnet nach seiner Präferenz auf, sondern bricht die schon hergestellte Kette einfach an einer Stelle auf, fügt eine Perle ein und verschließt sie wieder mit einem anderen Ketten­ende. Das macht er so lange, bis er bunt gemischte Ketten hergestellt hat. Der Katalysator kann demnach abhängig von der Temperatur farblich sortierte oder bunt gemischte Ketten herstellen, was die Kunst­stoff­produktion vereinfacht. Der umwelt­freundliche Eisen­katalysator ist also nicht nur für die Herstellung von PLA einsetzbar, sondern auch für andere Bio­kunst­stoffe mit variablen Zusammen­setzungen und damit Eigenschaften. Durch die Verfügbarkeit dieser biologisch abbaubaren Materialien können herkömmliche Kunst­stoffe in Alltags­gegen­ständen ersetzt werden. Auf diese Weise ließe sich die Menge von potenziell gefährlichem Mikro­plastik in der Umwelt deutlich verringern.

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Jeder von uns isst im Schnitt mehr als ein halbes Pfund Plastik im Jahr. Guten Appetit!

„Es ist so traurig”, sagte Alex Aves kürzlich. „Dass wir im frischen Schnee der Antarktis Mikro­plastik gefunden haben, zeigt das Ausmaß der welt­weiten Plastik­verschmutzung.” Die Forscherin der neuseeländischen Canterbury University bestätigt damit, was viele Expert:innen lange befürchteten: Nicht die Frage „Wo findet sich Plastik in der Umwelt” ist die richtige, sondern: „Wo findet es sich nicht?”.

Längst haben Kunststoffe ihren Weg auch in die Nahrungs­ketten gefunden. Und zwar in Gestalt von Nano- bis Mikro­meter kleinen Teilchen. In Fischen, Seehunden, Vögeln – und natürlich auch Menschen – wurde sogenanntes Mikro­plastik nachgewiesen. Ob wir essen, trinken oder atmen: In jeder Sekunde nehmen wir Plastik zu uns.

Nach der Auswertung von 26 Studien schätzt ein Team um Kieran Cox von der kanadischen University of Victoria, dass wir je nach Alter und Geschlecht pro Jahr 74.000 bis 121.000 Mikro­plastik­partikel aufnehmen. Umgerechnet entspricht das einer Kunst­stoff­menge von rund fünf Gramm pro Woche. Ungefähr so viel wiegt eine Kredit­karte. Wer die täglich empfohlenen zwei Liter Wasser lediglich aus Plastik­flaschen trinkt, nimmt allein auf diese Weise pro Jahr rund 90.000 zusätzliche Plastik­partikel auf.

Welche gesundheitlichen Auswirkungen diese Fremd­stoffe haben, ist noch unklar. In einer Über­sichts­studie kamen Elisabeth Gruber und Lukas Kenner von der Medizinischen Universität Wien aber gerade erst zu dem Schluss, dass die mikroskopisch kleinen Plastik­partikel im Magen-Darm-Trakt zu Entzündungs- und Immun­reaktionen führen können. Die kleinste Fraktion – die Nano­kunst­stoffe – werden überdies mit biochemischen Vorgängen in Verbindung gebracht, die entscheidend an der Krebs­entstehung beteiligt sind.
— JS

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