Geowissenschaften Alle wollen. Irgendwie.
Durch Nutzung erneuerbarer Energiequellen ließe sich der größte Teil der heutigen Treibhausgasemissionen vermeiden. Doch der Umstieg erzeugt auch Konflikte. Es geht um Kosten, Landschaften und Fragen der dezentralen Versorgung. Die Interessenlage ist kompliziert und gefährlich, denn sie bedroht die Energiewende
Alle wollen die Energiewende. Weg von fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien. Das zumindest ist die Theorie. Im Alltag ist das Ganze nicht so einfach. Während die einen den massiven Ausbau von Windkraftanlagen großartig finden, haben andere Angst vor den Auswirkungen auf Landschaften. Die einen wünschen sich mehr Selbstversorgung nach dem Modell Bürgerstrom, andere halten das in großem Stil für unbezahlbar.
Zusammen mit Kolleg:innen der ETH Zürich und des IASS Potsdam erforschen wir diese gesellschaftlichen Konflikte der Energiewende in Europa. Uns treibt die Klimakrise an, denn unsere heutige Energieversorgung verursacht etwa drei Viertel der Treibhausgasemissionen. Mithilfe klimaneutraler Technologien ließen sich diese Emissionen vermeiden. Allen voran: elektrische Energie aus Wind- und Solarkraftanlagen, die aus Sicht vieler Wissenschaftler:innen und Politiker:innen zukünftig eine zentrale Rolle übernehmen sollen. Doch der rasche Ausbau kommt trotz der sich zuspitzenden Klimakrise immer wieder ins Stocken.
Dafür gibt es sicher eine Reihe von Gründen. Ein unseres Erachtens sehr wichtiger: Es gibt keinen Konsens darüber, wie und wo genau der Strom erzeugt werden soll. An dieser Frage entzünden sich gesellschaftliche Konflikte, denn sie hat einen entscheidenden Einfluss auf drei Aspekte, zu denen die Meinungen weit auseinandergehen: das Landschaftsbild, die Stromkosten und die Frage der Selbstversorgung.
Klar, der Wandel hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung hat nicht nur positive Effekte. So ist der Flächenverbrauch eines Windkraftwerkes ungleich höher als der eines Kohlekraftwerkes. Die daraus resultierenden Diskussionen über Landschaftsveränderungen wurden ja schon genannt. Dann sind da die Kosten. Auch wenn Windturbinen und Solaranlagen mittlerweile günstiger Strom produzieren können als fossile Kraftwerke, schwanken die Kosten doch stark mit dem geografischen Standort. Außerdem werden Speicher und leistungsfähigere Netze benötigt. Da wir alle von Energie abhängig sind, stellt sich die Frage, welche Kosten gesellschaftlich tragbar wären. Positiv allerdings: Mit dem Anteil erneuerbarer Energien sinkt auch das Maß der Abhängigkeit von öl-, gas- und kohlefördernden Ländern. Selbst einzelne Gemeinden könnten ihren Strom selbst vor Ort erzeugen. Wie wichtig dieser Aspekt ist, darüber ist man sich uneinig.
Solange es keinen Konsens zu diesen Aspekten gibt, kann es auch keinen Konsens darüber geben, wo die Anlagen gebaut werden sollen. Wenn das aber nicht klar ist, dann wird auch nicht gebaut – auch daher stockt der Ausbau und damit die so dringend nötige Energiewende. Um alle unterschiedlichen Interessen zu vereinen, müsste man gleichzeitig die Veränderungen des Landschaftsbildes und die Kosten minimieren und den Grad der Selbstversorgung maximieren. Aber geht das denn?
Um diese Frage zu beantworten, mussten wir die Auswirkungen auf Landschaft, Kosten und Selbstversorgung detailliert kartieren. Wir brauchten ein räumliches und mathematisches Modell und holten uns hierfür Hilfe aus dem All. Erdbeobachtungssatelliten sammeln verschiedenste Daten über die Erde, die für unsere Forschung essenziell sind: Höhenprofile, Flächennutzungen und meteorologische Größen wie Windgeschwindigkeiten und Wolkendecken.
Mit diesen Daten wäre das Modell allerdings sehr komplex. Es würde nicht nur jede der über 100.000 Gemeinden in Europa abbilden, sondern auch die Wetterverhältnisse an all diesen Orten über Jahrzehnte. Ein derart hoch aufgelöstes Modell wurde zuvor noch nie eingesetzt. Um es berechnen zu können, benötigten wir leistungsfähige Computer.
Fündig wurden wir in der Nähe des Luganersees, auf der Südseite der Alpen. Hier betreibt die ETH Zürich ihren Hochleistungsrechner Euler. Euler berechnet unter anderem, wie sich die Klimakrise auf alpine Bergseen auswirkt, wie Beben an kontinentalen Platten das Erdinnere zum Schwingen bringen und wie sich SARS-CoV-2 ausbreitet. Über den Verlauf von Wochen und nach einigen Rückschlägen erzeugten wir so einen großen Datensatz, mit dem wir die Auswirkungen des Ausbaus erneuerbarer Energien detailliert kartieren konnten.
Die Daten zeigen, dass sich die unterschiedlichen Interessen nicht vereinen lassen. Während es zwar insgesamt deutlich mehr verfügbare Flächen gibt als benötigt und die zukünftigen Stromkosten etwa den heutigen gleichen, schwanken die Kosten, je nachdem, wo genau gebaut wird, stark. Wenn wir statt unbebauter Flächen eher Dachflächen nutzen, verringert sich die Veränderung des Landschaftsbildes drastisch, aber der Strom wird etwa 60 Prozent teurer. Am günstigsten ist Strom, wenn er an Orten erzeugt wird, an denen der Wind oder die Sonneneinstrahlung besonders stark ist. Wenn wir einen möglichst hohen Grad der Selbstversorgung anstreben, wird Strom 70 Prozent teurer. Die Stromversorgung kann also nicht gleichzeitig möglichst geringe Landschaftsveränderungen und Kosten mit einem möglichst hohen Grad der Selbstversorgung vereinen. Diese Ergebnisse erklären einen Teil des Konfliktes, da sich so kein Konsens darüber finden lässt, wo genau Erzeugungsanlagen gebaut werden sollen.
Auch wenn unsere Ergebnisse eine Erklärung liefern konnten, wären sie ohne konkrete Lösungsvorschläge unbefriedigend. Wir begaben uns daher mit der Hilfe Eulers erneut auf die Suche nach einem Szenario der Stromerzeugung mit möglichst geringem Konfliktpotenzial. Mal bewegten wir Windturbinen von der irischen Atlantikküste an die bulgarische Schwarzmeerküste, mal in das Zentrum Europas. Mal nutzten wir mehr Sonnenenergie als Windkraft, mal mehr Windkraft auf See als an Land und mal mehr Dachflächen als freie Felder für die Stromerzeugung.
Schließlich setzte sich ein Bild zusammen. Zwar gibt es keine Möglichkeit, die drei unterschiedlichen Interessen perfekt zu vereinen. Aber man kann sie so kombinieren, dass die negativen Auswirkungen für die jeweils anderen gering sind. Landschaftsveränderungen und Kosten sind in diesen Fällen nicht minimal, aber gering, und der Grad der Selbstversorgung ist nicht maximal, aber hoch. Eine solche Stromversorgung kombiniert eine Erzeugung nah an den Verbraucher:innen – also mit hoher Selbstversorgung – mit Strom aus Solaranlagen und einem starken Stromnetz, das Schwankungen der Erzeugung abfängt und so Kosten einspart. Da sie alle Interessen berücksichtigt, hat eine solche Stromversorgung ein geringeres Konfliktpotenzial und könnte die stockende Energiewende beschleunigen.
Unsere Ergebnisse sind keine Blaupause für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie können weder europäische, nationale oder regionale Energiepläne noch gesellschaftliche Debatten ersetzen. Aber sie können die Debatten mit Fakten bereichern. Und sie zeigen, dass und wie sich die unterschiedlichen Interessen vieler Menschen in Europa einbinden lassen zu einer Energiewende für alle.
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Landschaft mit Mühle
Warum tun wir uns eigentlich so schwer mit dem Anblick von Windrädern?
Kratzte man in Deutschland alle Flecken ursprünglicher, unberührter Natur zusammen, man käme nicht einmal auf die Fläche des Saarlandes. Wenn wir Urlaub im Schwarzwald machen, im Oderbruch oder in der Lüneburger Heide, dann genießen wir allenfalls Kulturlandschaften. Tatsächlich sind wir in Sachen „Natur” ziemlich anspruchslos und erfreuen uns ohne Weiteres von der Autobahn aus an Feldern, Wäldern und Weinbergen, die in Wahrheit oft tote Monokulturen sind.
Rückblende: Vor 370 Jahren bannte der niederländische Maler Rembrandt van Rijn eine geschäftige Szene auf die Leinwand. An einem Fluss tummeln sich Erwachsene und Kinder. Der Himmel ist aufgerissen, das Licht fällt auf das Zentrum des Bildes. Dort steht eine Mühle, eine von Windkraft angetriebene Maschine. Rembrandt inszeniert sie als Symbol für die Abhängigkeit der Menschen von den Kräften der Natur.
Zurück in die Gegenwart: Wer den Begriff „Verspargelung” googelt, stößt auf unzählige Beiträge aus der ganzen Republik, in denen vom Widerstand gegen Windkraftanlagen die Rede ist. Auch in Regionen, die selbst den anspruchslosesten Tourist:innen wenig zu bieten haben. Man wehrt sich gegen die Verschandelung einer längst verschandelten Natur. Denn wir finden vor allem schön, was wir kennen.
Und genau das könnte uns hoffen lassen. Wachsen nämlich unsere Kinder und Enkel:innen mit dem Blick auf Windräder auf, in einer Welt, die auch wegen der „Verspargelung” nicht immer heißer und unwirtlicher wird, dann werden unsere Nachfahren sich daran nicht mehr stören. Durchaus möglich, dass die „Windmühlen” unserer Zeit liebgewonnener Teil der Umwelt werden. Ja, vielleicht werden sie wie zu Rembrandts Zeiten zu einem Symbol neuer Naturverbundenheit – für eine gelungene Zeitenwende in eine nachhaltigere Zukunft.
— JS