Oliver Müller
©Peter Badge/Typos1

„Es reicht einfach nicht, nur gute Forschung zu betreiben”

Der Astrophysiker und KlarText-Preisträger Oliver Müller arbeitete bei Google und verkündete in einem vielfach geteilten Tweet, warum er nach nur neun Monaten in die Forschung zurückwill. Ein Gespräch über Zwerg­­galaxien, die Härten des Wissenschafts­betriebes – und die Verlockungen des Geldes

von Kilian Kirchgeßner

Herr Müller, Ihren Abschied von Google haben Sie bei Twitter ausführlich begründet. Dazu stellten Sie ein Foto von sich in der Zentrale – vor einer grünen Wand und mit einem Netz im Hinter­grund. Ist das das Bällebad, das es bei Tech-Unternehmen angeblich so oft gibt?
(lacht) Nein, das ist einfach ein Pflanzen­gitter. Ich glaube, bei Google in Zürich gibt es auch kein Bällebad – dafür aber etliche Game-Rooms. Da stehen Flipper-Automaten, man kann Tisch­tennis spielen oder Billard.

Alles das gibt es an der Universität wohl nicht, an die Sie jetzt wieder zurück­kehren.
Das stimmt! Die Frage ist aber ja: Aus welchem Grund bieten Unternehmen wie Google solche Extra­vaganzen? Es muss einen Haken geben.

Haben Sie ihn gefunden?
Naja, meine Arbeit habe ich in einem Großraumbüro verrichtet, da saßen 50 Leute eng neben­einander in einem Raum. Es war schwierig, überhaupt mit jemandem zu reden – ohne alle anderen zu stören. An der Universität hatte ich immer ein kleines Büro. Wer etwas wollte, kam einfach vorbei. Klar, es ist dort nicht so hipp, und es gibt auch keinen kostenlosen Kaffee – aber entscheidend ist schluss­endlich doch, wie und woran man arbeitet.

Zur Person

Oliver Müller, Jahrgang 1989, promovierte an der Universität Basel mit einer Arbeit über Zwerg­galaxien. 2019 erhielt er den KlarText-Preis für Wissenschafts­kommunikation. Nach Forschungs­aufenthalten an verschiedenen Universitäten und einem kurzen Zwischenstopp bei Google geht er jetzt zurück in die Forschung.

Sie sind promovierter Astronom, haben sich mit Zwerg­galaxien beschäftigt und sich tief eingearbeitet in die Kosmologie. Was wollten Sie bei Google?
Ich habe dort als Datenanalyst gearbeitet. Es ging darum, Spam aus dem ganzen Google-Ökosystem fern­zu­halten. Genaueres dazu darf ich nicht sagen, ich habe eine Verschwiegen­heits­erklärung unter­schrieben. Aber ich habe im Alltag gemerkt, dass mir etwas fehlt. Die Arbeit hat mich intellektuell nicht stimuliert, ich konnte mich nicht in Aspekte vertiefen, die mich besonders interessieren, sondern musste konkrete Aufgaben nacheinander abarbeiten.

Dass die Arbeit in einem Konzern völlig anders ist als in der Wissenschaft, dürfte Sie nicht überrascht haben. Warum sind Sie also dorthin gegangen?
Dafür gab es mehrere Gründe. Die letzten sieben Jahre hatte ich zum Beispiel immer befristete Verträge, einen nach dem anderen. Ganz am Anfang der Pandemie habe ich dann Corona bekommen und gemerkt, dass ich nicht einmal gegen Invalidität ver­sichert bin. Hätte ich Long Covid bekommen, wäre ich ohne Absicherung gewesen. Mich hat diese Vorstellung ungeheuer gestört: Da widme ich mein Leben der Wissenschaft und bekomme nur Zeit­verträge, einen schlechten Lohn, unzureichende Ver­sicherungen und kaum Rente. Das ist der eine Grund.

Und der andere?
Ich war nach einer längeren Wochenendbeziehung mit meiner Freundin zusammen­gezogen und wusste: Wenn ich eine Fest­anstellung in der Forschung haben möchte, muss ich bereit sein, überall auf der Welt einen Posten anzunehmen. Das möchte ich nicht: Ich will in der Schweiz bleiben, bei meiner Partnerin sein. Ich habe immerhin Paper in hochkarätigen Zeitschriften publiziert, in „Science” und „Nature” zum Beispiel – aber mir wurde bei allen schweizerischen Universitäten signalisiert, dass ich kaum eine Chance habe. Das ist extrem frustrierend.

Und dann kam das Angebot von Google?
Genau: ein tolles Büro in Zürich, eine unbefristete Fest­anstellung und ein Gehalt, das fünf- bis sechsmal höher ist als das, was ich bis dahin an der Universität bekam. Das war dann eine einfache Entscheidung.

Gab es den einen Moment, in dem Sie Ihren Schritt bereuten?
Moment, ich will nicht, dass alles negativ klingt. Ich habe bei Google überaus wertvolle Erfahrungen gesammelt und eine Arbeits­kultur kennen­gelernt, von der ich viel beibehalten möchte.

Wir trafen uns zum Beispiel jede Woche mit einem Kollegen aus einer anderen Abteilung, der uns zugelost wurde. Das waren sehr spannende Gespräche! Auch mochte ich die Vielfalt im Team: Da trifft man den früheren Hacker ebenso wie den professionellen Poker­spieler. An der Universität sind die Lebens­läufe ja doch eher alle ähnlich.

Und wo ist das Aber?
Ich war häufig frustriert, weil ich an vielen Aufgaben gleich­zeitig saß, schnell liefern musste und mich mit inter­essanten Fragen nicht tiefer befassen konnte. Zugleich las ich in meiner Freizeit die Paper zu meinem früheren Forschungs­thema. Ich kriegte mit, wenn sich die Kollegen wieder zu einer Konferenz trafen, und jedes Mal hat mir alles das einen kleinen Stich ins Herz gegeben.

Hatten Sie denn eine Rück­kehr­option in die Wissenschaft?
Ich hatte Glück und eine Projektförderung bekommen. Diese Dinge haben in der Wissenschaft ja immer einen langen Vorlauf – die Anträge hatte ich noch vor meiner Zeit bei Google geschrieben. Als die Zusage kam, war klar, dass ich wieder in die Wissenschaft zurück­kehre.

Sie geben also eine unbefristete Anstellung mit hohem Gehalt für eine Projekt­stelle an der Universität auf …
Auch das habe ich gelernt: Mit Geld kann man sich ein schönes Leben kaufen, aber Geld um seiner selbst willen bringt kein Vergnügen. Wenn die Grund­bedürfnisse gesichert sind, gibt es bessere Wege, Glück zu suchen, als nur nach immer höheren Gehältern zu jagen.

Wie waren denn die Reaktionen von Ihren Kolleginnen?
Am Interessantesten fand ich die Reaktionen, als ich die Wissenschaft verlassen habe. Da gab es nämlich genau zwei Arten von Kommentaren: Alle Nachwuchs­wissenschaftler mit Zeit­vertrag haben mir gratuliert und gefragt, wie ich denn an diese tolle Stelle bei diesem tollen Arbeit­geber gekommen sei. Und bei den Kollegen mit Fest­anstellung habe ich ein gewisses Unverständnis heraus­­gehört: Die Wissenschaft sei doch viel interessanter.

Wie konnten Sie denn mit Ihrem wissenschaftlichen Profil in der Privat­wirtschaft überhaupt Fuß fassen?
Mich haben viele Astrophysiker gefragt, ob einem dafür nicht wichtige Fertigkeiten fehlen. Aber meine Erfahrung ist: Hey, wir wissen, wie man programmiert, wir können Mathe, wir können schreiben, wir können präsentieren. Wir Wissenschaftler sind hoch qualifiziert!

Da Sie von Qualifikationen sprechen: Wie wichtig ist Kommunikations­fähigkeit?
Die Kommunikation ist eine der wichtigsten Fähigkeiten in der Privat­wirtschaft, aber auch in der Wissenschaft. Das wird oft unter­schätzt: Es reicht einfach nicht, nur gute Forschung zu betreiben oder viel zu publizieren. Was nutzt mir das beste Paper, wenn es nicht lesbar ist und ich die Kolleginnen und Kollegen nicht überzeuge?

Sie bekamen im Jahr 2019 den KlarText-Preis. Hat er Ihnen geholfen bei Ihrer weiteren Karriere?
Auf jeden Fall, dieses Siegel ist viel wert – und wenn nur dafür, dass der Lebens­lauf bei Bewerbungen nicht sofort im Altpapier landet (lacht).

In Ihrem preisgekrönten Beitrag haben Sie von Ihrer Entdeckung berichtet, die das Standard­modell der Kosmologie infrage stellen könnte.
Das Standardmodell geht davon aus, dass jede große Galaxie von einer Wolke aus Dunkler Materie umgeben ist, die in schwarm­ähnlichem Durch­einander um sie herum kreist. Zwerg­galaxien – also sehr schwach leuchtende Galaxien – sind stark von Dunkler Materie geprägt. Sie kreisen um die großen Galaxien herum, allerdings eben nicht so chaotisch und willkürlich, wie es das Standard­modell postuliert, sondern sehr wohl­geordnet und gleich­mäßig. Von der Milch­straße wusste man das, von der Andromeda­galaxie ebenfalls. Die werden üblicher­weise als Ausnahmen von der Regel bezeichnet, als statistische Ausreißer. Aber wir haben bei Centaurus A, einer sehr weit entfernten Galaxie, ebenfalls festgestellt, dass die Zwerg­galaxien sehr gleich­mäßig um sie herum kreisen.

Das war die dritte Ausnahme, die das Standard­modell infrage stellt. Suchen Sie in Ihrem neuen Forschungs­projekt die vierte Ausnahme?
Nein. Erstens haben andere Gruppen in der Zwischen­zeit weitere Ausnahmen gefunden, und zweitens müssen wir jetzt wegkommen von solchen Einzel­­betrachtungen. Wir wollen statistisch Hunderte solcher Galaxien beobachten und analysieren  …

 … um damit das Standardmodell zu widerlegen?
Das ist nicht mein Ziel. Ich bin Beobachter. Ich will das Universum betrachten und schauen, welche Theorie am besten zur Realität passt. Mit ganz offenem Ergebnis. Und gerade diese Offenheit ist es ja, für die ich aus der Privat­wirtschaft wieder zurück­gehe in die Forschung.

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